Innsbrucker*innen

Adressbücher aus dem 19. und 20. Jahrhundert

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286
Satzungen des Arbeits=Vermittlungs=Amtes der Landes¬
hauptstadt Unnsbruck.
Der Gemeinderat der Landeshaupt¬
stadt Innsbruck beschloß in seiner Sit¬
zung vom 20. Dez. 1902 die Errichtung
eines städtischen Arbeitsvermittlungs¬
amtes.
Die soizale Bedeutung des Arbeitsnachweises läßt
sich in Folgendem zusammenfassen:
1. Fortfall des planlosen Umherwanderns der Ar¬
beiter und Handwerksgesellen und damit Fortfall der
Verführung zum Bettel und Vagabundieren.
2. Fortfall des planlosen Umschauens der Arbeiter
und Arbeiterinnen um Arbeit.
3. Verkürzung und Beseitigung der jetzt gelegentlich
des Arbeitswechsels meist stattfindenden vorübergehen¬
den Arbeitslosigkeit.
4. Dezentralisation der Industrie, indem man es den
Arbeitgebern der kleinen und mittleren Städte möglich
macht, tüchitge Fachleiter aus den größeren Städten zu
erhalten und es den Arbeitern der kleineren Städte
wie der Landgemeinden erleichtert, an den kleineren
Orten bei Arbeitsstockung Beschäftgung zu erhalten.
Durch die zentrale Organisation wird also nun
nicht, wie man behauptet hat, der Zug der Arbeiter
in die großen Städte gefördert, sondern im Gegen¬
teil gerade der Hauptgrund derselben beseitigt, daß
es nämlich jetzt nur dort verhältnismäßig leicht ist,
rasch Arbeit zu finden, während in den kleineren Städ¬
ten und auf dem Lande die Arbeitsgelegenheit meist
mangels organisierten Nachweises nur durch Zufall
bekannt wird.
5. Die Möglichkeit, es frühzeitig zu erfahren, wenn
Arbeitslose sich im allgemeinen oder in bestimmten
Gegenden oder gewissen Geschäftszweigen in besorg¬
niserregender Weise vermehren, um rechtzetiige Ab¬
hilfe schaffen zu können.
6. Förderung des sozialen Friedens, indem man
eine der Ursachen des Arbeiterelendes, der Verbrechen
und der Unzufriedenheit, die Arbeitslosigkeit, nach Mög¬
lichkeit beseitigt.
7. Erschwerung unberechtigter Arbeitseinstellungen
und Ausschließungen.
8. Hebung der Moralität, der Leistungen und des
guten Benehmens der Arbeiter und Arbeitgeber durch
Erteilung gewissenhafter, fachgemäßer Auskünfte durch
die Nachweisstelle unter Ausschluß jeder Mitteilung
über die politische Parteirichtung.
9. Schaffung der Grundlagen für eine gerechte und
sparsame Armenpflege. Erst die Verbindung mit der
Arbeitsvermittlungsstelle gewährt den Armenverwal¬
tungen die Möglichkeit, verschuldete und unverschuldete
Armut zu unterscheiden und dem Armen einen Weg zu
neuem Erwerb zu eröffnen.
10. Bessere Erforschung der Ursachen, des Um¬
fanges und der Dauer der periodisch wiederkehrenden
Arbeitslosigkeit auf Grund des aus dem Geschäftsbe¬
triebe erwachsenden statistischen Materiales und der
dabei gesammelten Erfahrungen und im Anschluß
daran Förderung der der Arbeitslosigkeit vorbeugenden
Tätigkeit.
11. Verhinderung der Ausbeutung von Dienst¬
boten und Arbeitern bei Bewerbung um Arbeit von
Seite der privaten Dienstvermittlungen.
12. Dementsprechender Schutz der Arbeitgeber.
Die Schaffung einer derartigen gemeindlichen Ar¬
beitsvermittlungsstelle erkannte nach der bestehenden
Lage der Gemeinderat der Stadt Innsbruck als not¬
wendig und zweckdienlich an. In der natürlichen Ver¬
folgung dieses Prinzipes muß sich dieselbe auf alle
Berufszweige erstrecken. Da sich dies der Neuheit und
hohen Kosten halber nicht sofort durchführen läßt,
soll hier mit einzelnen Zweigen begonnen werden.
Weiter soll die Durchführung sozialer Reformen nicht
mit entschädigungsloser Expropriation vorhandener
Rechte verbunden sein. Es besteht auch nicht die ge¬
ringste Absicht, durch eine gemeindliche Arbeitsver¬
mittlung den bestehenden gut eingerichteten genossen¬
schaftlichen Vermittlungen Konkurrenz zu bieten und
es wird sich auch hierdurch eine Einschränkung in den
Berufsarten bei der städtischen Vermittlung von selbst
ergeben. Als Hauptaufgabe betrachtet es die kom¬
munale Arbeitsvermittlung, wie sie hier eingeführt
werden soll, vorerst Dienstboten und nicht qualifizierten
Arbeitern Arbeit zu verschaffen.
Sicher werden sich hier wie in allen österreichi¬
schen und deutschen Städten, wo städtische Arbeits¬
vermittlungsämter eingeführt wurden, die Genossen¬
schaften demselben anschließen.
Ueberall siegte die ausgesprochene Bereitwilligkeit
der Stadtverwaltung, den zu gründenden Arbeitsnach¬
weis neutral zu organisieren und zu verwalten, so daß
endlich die Zweckmäßigkeit eines unparteiisch geleiteten
städt. Arbeitsnachweises von beiden Seiten (von den
Arbeitgebern und Arbeitnehmern) anerkannt werde. Die
Errichtung eines städtisch. Arbeitsvermittlungsamtes
wurde als eine soziale Pflicht der Gemeinde erkannt
und soll die Vermittlungsstelle eine soziale Wohlfahrts¬
einrichtung sein. Es ist selbstverständlich, daß die
Vermittlung unentgeltlich erfolgen muß; durch die
Unentgeltlichkeit der Vermittlung wird auch das Ver¬
trauen der Arbeitsuchenden in das Amt gestärkt und
gefestigt werden. Erfüllt das Vermittlungsamt seine
soziale Aufgabe und bringt es Ordnung in die heute
da und dort ungeregelten Verhältnisse, dann werden
die Kosten, welche die Gemeinde für die städt. Arbeits¬
vermittlung Jahr für Jahr aufwenden wird, reich¬
liche Früchte tragen.
§ 1.
Das Arbeitsvermittlungsamt der Stadt Innsbruck
hat den Zweck:
1. Zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und
zwar vorerst für Taglöhner und Dienstboten, sodann
beim weiteren Ausbau des Amtes gewerblichen Hilfs¬
arbeitern, Handelsangestellten und Lehrlingen Arbeit
zu vermitteln.
2. In allen die Arbeiter und Arbeitsverhältnisse
berührenden Fragen tunlichst Auskunft zu erteilen.
3. Zur Ausgleichung von Arbeitsangebot und Nach¬
frage sich mit anderen Vermittlungsämtern in Verbin¬
dung zu setzen.
Falls die Staatsverwaltung einen entsprechenden
Beitrag leistet, werden dem arbeitsstatistischen Zentral¬
Bureau des Handelsministeriums in Wien für Zwecke
der Statistik über die Bewegungen des Arbeitsange¬
botes und der Arbeitsnachfrage in den verschiedenen
Gewerben und Jahreszeiten die gewünschten Mittei¬
lungen gemacht.
§ 2.
Das Arbeitsvermittlungsamt steht unter Leitung
und Vermittlung des Stadtmagistrates, sowie unter
Leitung einer Verwaltungskommission, welche aus
einem Vorsitzenden und sechs Mitgliedern, sowie vier
Stellvertretern besteht. Vorsitzender der Kommission